“High-Impact Practices” und das Problem des Kompetenztransfers

Dass die in meinem letzten Blogbeitrag vogestellte Publikation zu high-impact practices (HIPs) bei Schreibkursen einen wichtigen Faktor unterbelichtet gelassen hat, ist mir erst nach der Lektüre des Sammelbandes, Critical transitions: writing and the question of transfer, herausgegeben von Chris M. Anson und Jessie L. Moore (2017) klar geworden. Zur Erinnerung: ein Kurs zur Einführung in das akademische Schreiben erlangt erst dann die Qualität einer HIP — das im Kurs Gelernte beeinflusst die Qualität des weiteren Studierens —, wenn dieses Wissen auch tatsächlich im weiteren Verlauf der Ausbildung explizit zum Einsatz kommt, d.h., wenn es den Studierenden durch konkrete Schreibaufgaben im Studienverlauf abverlangt wird. Mit anderen Worten: Für das Gütesiegel HIP reicht es nicht, wenn ein Schreibzentrum einen Einführungskurs konzipiert, der im Rahmen seiner Aufgabenstellungen vielfältige Anschlussmöglichkeiten für das Schreiben in den Fächern antizipiert oder anregt. Das Schreibzentrum müsste sich, z.B. mithilfe von writing fellows, darum bemühen, dass die Inhalte, Methoden und Ziele des Einführungskurses in den Fächern aufgegriffen und auf hochschuldidaktischer Ebene, hier v.a. im Aufgabendesign, weitergeführt werden. Das Dilemma ist jedoch, dass dieses Konstrukt des institutionellen Transfers als Teil des institutionellen Literacy Managements nicht garantiert, dass auch der Transfer auf der individuellen Ebene, nämlich hier im Schreibhandeln der Studierenden, als Teil des individuellen Literacy Managements, stattfindet.

Folgt man den Ausführungen der Beiträger*innen im o.g. Sammelband, dann unterliegt das im Einführungskurs zur akademischen Literalität Gelernte keinesfalls einem automatischen Transfer in den neuen Handlungszusammenhang, z.B. im Rahmen der Fachausbildung, eines späteren Masterstudiums oder im Berufsfeld. Viel stärker wirken erst einmal die Einflüsse des neuen Handlungsraumes und der dort vorhandenen Praxisgemeinschaft. Der/die Schreibende möchte dazugehören, verbunden mit dem Effekt, dass bisher erworbenes Wissen und gesammelte Erfahrung latent abgewertet und dafür neue Praxen und neues Wissen angeeignet werden. Um “Alt” und “Neu” sinnvoll zusammenzuführen, braucht es Reflexion und Innehalten. Der Begriff dafür heißt bei Anson/Moore (2017) threshold — ein Handlungsraum, welcher hochschuldidaktisch konstruiert werden muss, z.B. als elektronisches Portfolio, in dem z.B. das Schreibhandeln im Einführungskurs erinnert und mit dem in der Fachausbildung verglichen wird: Welche Fragen, Verunsicherungen oder Herausforderungen beschäftigen mich dabei? Was ändert sich an meinem Handeln, aber vielleicht auch an meinen Einsichten, Werten und Haltungen? Wie verändert sich meine Rolle in der neuen Praxisgemeinschaft im Vergleich zur alten?

Den Beiträger*innen im Sammelband zufolge entstehen durch Reflexion und Innehalten Phänomene wie boundary crossing — ein “Hinüberschauen”, ohne bereits hinüberzugehen, also ohne eine neue Einsicht auch wirklich zu vollziehen — und consequential transition, die dann die Einsicht nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, handelnd vollzogen sieht.

Einen solchen wichtigen Ort des Reflektierens und Innehaltens, um Kompetenztransfer in der Ausbildung nicht nur institutionell zu organisieren, sondern auch individuell zu ermöglichen und auf einer persönlichen Ebene nachhaltig vollziehen zu können, haben wir im EU-Projekt PREPARE (vgl. auch Blogeintrag vom 11.01.2016 zur Projektvorstellung) mit einer digitalen Lehr/Lernumgebung, PrepareCampus, geschaffen. Hier geht es darum, Studierenden in diversen Praktika die Möglichkeit zu geben, anhand von Videoaufnahmen aus dem neuen Handlungsumfeld über ihr professionelles Handeln nachzudenken, es mit Peers zu diskutieren und im Kontext des fachwissenschaftlichen Diskurses langfristig zu hinterfragen bzw. weiterzuentwickeln. Dies geschieht im Spannungsfeld von Primärreflexion in Form des ad-hoc Kommentierens und Diskutierens von Videoaufnahmen und von Sekundärreflexion im elektronischen Portfolio, wo das bei der Videoannotation Bemerkte vertieft analysiert und evaluiert wird. Dadurch entstehen schließlich neue Einsichten und Konsequenzen für zukünftiges Handeln. Wer unseren “Verweilraum” einmal mit der eigenen Praxisgemeinschaft ausprobieren möchte, der schreibe mir unter braeuer@ph-freiburg.de.

Kompetenztransfer auf PepareCampus.jpg

About literacymanagement

Members of the ILM consortium will share news about their local ILM program and ongoing collaborative projects. Participants of the ILM certificate program are encuraged to collaborate with any partner or project.
This entry was posted in Uncategorized. Bookmark the permalink.

Leave a comment