Was LANGE NÄCHTE mit Literacy Management zu tun haben

Kurz vor Weihnachten — sozusagen als Weihnachtslektüre für die langen Nächte in dieser dunklen Jahreszeit — möchte ich das Thema Schreib-Event und hier besonders die LANGE NACHT DER AUFGESCHOBENEN HAUSARBEITEN aufgreifen und nach deren Abhängigkeit von lokalen oder deren Einfluss auf lokale Schreibkulturen zu fragen. Diese LANGEN NÄCHTE werden seit ungefähr zehn Jahren mit viel Engagement von Schreibzentren, Bibliotheken und Schreibberater*innen an Hochschulen im deutschsprachigen Raum veranstaltet und die Zahl der Hochschulen, die ein solches Event veranstalten (wollen), scheint weiter stetig zu wachsen.

Mich als Schreibpädagogen freut das ungemein und bis vor Kurzem war diese Begeisterung mit der Hoffnung verbunden, die LANGEN NÄCHTE könnten dazu beitragen, die traditionell an deutschen Hochschulen unterbelichtete Rolle des Schreibens zu verändern: Man schreibt gemeinsam, anstatt einsam und verlassen irgendwo im stillen Kämmerlein. Man gibt sich gegenseitig Feedback auf Ideen und Rohfassungen, anstatt nur mit fertig polierten Texten aufzuwarten. Man kommt ins Reden über das Schreiben, um festzustellen, dass jede*r Schreibende mit ähnlichen Reibungsverlusten in der Textproduktion zu kämpfen hat.

Nach vielen Durchgängen der LANGEN NACHT, die ich an der PH Freiburg und der Uni Freiburg selbst aktiv mitgestaltet habe und nach noch mehr Besuchen auf LANGEN NÄCHTEN anderer Hochschulen und Universitäten als Workshopleiter und Schreibberater befürchte ich allerdings, dass die o.g. “Setzlinge” aus dem “Treibhaus” der LANGEN NACHT im Alltag des akademischen Lehrbetriebs nicht so recht zu gedeihen scheinen. Zumindest auf der Basis dessen, was sich bei  der Schreibberatung am Freiburger Schreibzentrum, an dem ich arbeite, beobachten lässt, gibt es weiterhin unklare Schreibaufträge, ungeklärte Textsortenvorstellungen, kaum Anleitung zum Peer-Feedback, zu wenig Anleitung und Begleitung von Textrevision, ganz zu schweigen vom “Reden über das Schreiben”. Einen Diskurs über akademische Literalität im Allgemeinen und das Schreiben im Besonderen gibt es in Freiburg m.W. nach wie vor nicht — sicherlich hier und da zwischen einzelnen Lehrenden und Studierenden, aber nicht als öffentlichen Diskurs, der Akzente setzen könnte für die Weiterentwicklung der Lehr- und Lernkultur insgesamt.

DIE LANGE NACHT, zumindest die in Freiburg, bleibt ein Event — eine singuläre Veranstaltung, die inzwischen mit jedem neuen Durchgang zunehmend mehr Mühe hat, genügend Unterstützer und Teilnehmende zu finden. Das ist ein Trend, den ich übrigens nicht nur in Freiburg beobachte. Warum? Um dies seriös beantworten zu können, bräuchte es einer genaueren Untersuchung auf der Basis von Literacy Management: Was passiert in einer Organisation, z.B. an einer Hochschule, im Umgang mit Informationen im Spannungsfeld von schon geschriebenen (also rezipierten) und noch zu schreibenden Texten? Was passiert auf dem Weg von einem Schreibauftrag bis hin zur Bewertung des fertigen Textes? Welche Kompetenzvorstellungen in Sachen akademischer Literalität befinden sich in den Köpfen von Lehrenden und Studierenden und in den Studien- und Prüfungsordnungen bzw. Anleitungs- und Begleitmaterialien für die Produktion schriftlicher Leistungsnachweise?

Dies untersucht, würde eine konkrete Vorstellung dessen ergeben, was mit einer LANGEN NACHT anvisiert werden sollte und was damit erreicht werden könnte bzw. was langfristig, über die LANGE NACHT hinaus, an der jeweiligen Ausbildungsstätte verändert werden müsste und, letztlich, worin die Herausforderungen und Gefahren für die Akzeptanz der LANGEN NACHT in einer vorhandenen institutionellen Schreibkultur bestehen. Vielleicht stellt sich bei einer solchen Untersuchung heraus, dass die LANGE NACHT mit einem anderen Konzept, z.B. als Ort für Lektorat, Textkorrektur und Plagiatskontrolle einen wesentlich größeren Zuspruch erfahren würde als das aktuell vielenorts verwendete Format von gemeinsamer Schreibzeit, von Peer-Austausch, Workshops und Schreibberatung. Oder vielleicht wäre eine konzeptuelle Verknüpfung der soeben genannten prozess- und produktorientierten Angeboten sinnvoll. Wie auch immer: Eine Bestandsaufnahme der Einflussfaktoren auf die LANGE NACHT bzw. deren Einflussmöglichkeit auf die lokalen Schreibkulturen auf der Basis von Literacy Management wäre langfristig sicherlich ein Gewinn für alle an Bildung und Literalität Beteiligten, nicht zuletzt verbunden mit dem Ziel, solche “Setzlinge” im “Treibhaus” LANGE NACHT zu ziehen, die nicht nur schlechthin im rauhen Klima des akademischen Alltags besser bestehen, sondern auch zu einem für Schreibende produktiven Klimawandel beitragen.

 

About literacymanagement

Members of the ILM consortium will share news about their local ILM program and ongoing collaborative projects. Participants of the ILM certificate program are encuraged to collaborate with any partner or project.
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1 Response to Was LANGE NÄCHTE mit Literacy Management zu tun haben

  1. Lieber Herr Bräuer,
    vielen Dank für diesen Beitrag! Ich stelle in meinen Einzelcoachings und auch in Kursen fest, dass tatsächlich das produktorientierte Arbeiten sehr viel hilft und häufig in prozessorientierte Fragen führt. Ich glaube tatsächlich, dass auch Formate wie LANGE SCHREIBNÄCHTE davon profitieren können. An der Theologischen Fakultät Zürich, wo ich gerade ein Schreibentwicklungsprojekt aufbaue, gibt es das “Textcafé”, ein unkompliziertes Walk-in-Angebot, wo Studierende Korrektur und Feedback auf ein Stück Text bekommen. Das ist sehr beliebt und wirkungsvoll.
    Herzlichen Gruss, Friederike Kunath

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